Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Forschungsprofil

Forschungscredo

Am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung wird ein Forschungsansatz verfolgt, dem das Motto „nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“ zugrundeliegt und der folglich von einem ökonomischen Theorienpluralismus zur Beschreibung der ökonomisch-gesellschaftlichen Realität ausgeht. Theorien sind in Modelle zu überführen und mit angemessenen statistisch-ökonometrischen Verfahren zu überprüfen. Daraus sind ordnungs- und wirtschaftspolitische Empfehlungen abzuleiten.

Das hier verfolgte wirtschaftspolitische Forschungsprogramm lehnt sich stark an die Governance-Forschung an. Aus Sicht der Ordnungs- und Wirtschaftspolitik ist Governance als ein Führungs-, Gestaltungs- und Implementierungsprozess aufzufassen. Ökonomik als Teil einer Realwissenschaft hat die Rückbindungen auf gesellschaftliche Handlungsvoraussetzungen, insbesondere Rechtsstrukturen und Werteempfinden, als wesentlichen Bestandteil in das Forschungs- und Lehrprogramm einzubinden.

Da die allgemeine Ordnungspolitik und die konkretisierende Wirtschaftspolitik im Sinne des Governancebegriffs nicht als ein prinzipiell evolutorischer Prozess der Findung spontaner Ordnungen aufgefasst wird, sondern als instrumentelles Verfahren um Dilemmata zu identifizieren, Anreize zur Konfliktbewältigung zu setzen und damit Institutionen eine dynamische Ordnung zu geben, muss diesem deduktionistischen Ansatz mittels einer Evaluierung eine induktiv-abduktive Komponente zur Seite gestellt werden: Im Sinne eines Regelkreisprozesses müssen Ergebnisabweichungen genutzt werden, um zu verbesserten Theorien und Modellen zu kommen, die dann wieder politikwirksam genutzt werden.

Grundlegende Fragen an die Forschung zum Thema Wirtschaftspolitik

Übergreifende Fragen an das vertretene Fach lauten:

  1. Theorie      und Modelle: Wie ist mit dem in Bezug auf konkrete Fragestellungen      vorhandenen Theorie- und Modellpluralismus umzugehen? Was zeichnet aus      normativer und aus positiver Sicht eine gute Wahl aus?
  2. Empirische      Validierung – Falsifikationstests: Wie ist das Spannungsverhältnis aus      ökonomischer Signifikanz und statistisch-ökonometrischer Signifikanz zu      bewältigen? Welche Bedeutung besitzt dabei Ökonomik als normative und als      empirische Wissenschaft?
  3. Dissemination:      Was bedeutet „good economic      governance“ im ordnungs- und wirtschaftspolitischen Kontext und welche      Folgen zeitigt dies für die entsprechenden Kommunikationsstrategien?

Forschungsentwicklung des Lehrstuhlinhabers

Am Anfang der wissenschaftlichen Laufbahn von Ulrich Blum standen vor allem Arbeiten im Fokus, die sich mit Fragestellungen der Infrastruktur und ihrem Bezug zur regionalen Wirtschaft befassten. Das war seiner Ausbildung geschuldet: der stark ingenieurwissenschaftlichen Orientierung, der methodentechnischen Ausbildung an der Universität Karlsruhe und schließlich den damaligen wirtschaftspolitischen Anforderungen, aus seinem Forschungsgebiet, der Regionalökonomik, folgend, Strategien zu entwickeln, um eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Raum zu verwirklichen. Aus einem Gutachten über die ökonomische Bedeutung von Verkehrsinvestitionen für das Bundesverkehrsministerium entstand die Dissertation „Regionale Wirkungen von Infrastrukturinvestitionen“ (1982), die mit dem August-Lösch-Preis, dem wichtigsten Wissenschaftspreis der Regionalwissenschaft, prämiert wurde. Fragen der regionalen Entwicklung weiter aufgreifend, wurden später finanzwissenschaftliche Aspekte integriert, insbesondere die Inzidenz öffentlicher Einnahmen und Ausgaben, woraus die Habilitationsschrift „Raumwirkungen des Budgets der Gesetzlichen Rentenversicherung“ (1986) entstand. In dieser wurde verdeutlicht, in welchem Umfang die regionale Verlagerung von Sozialversicherungsausgaben – praktisch ein horizontaler Finanzausgleich – die Leistungsfähigkeit von Teilräumen in Deutschland verändert, besonders dann, wenn Zahlungsströme aus weniger entwickelten Regionen abfließen, weil es ebendort aus historischer Sicht nur wenige Sozialversicherungspflichtige gab, die heute zu den Leistungsbeziehern zählen. Diese Fragestellung wurde vom Bundesverfassungsgericht mit Interesse aufgenommen und ist in die Beurteilungen des damaligen Urteils zum horizontalen Finanzausgleich (1986) eingeflossen.

Infolge mehrfacher Gastprofessuren an der französischen Universität in Montreal und im Rahmen eines Feodor-Lynen-Stipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung und durch die starke ökonometrische Ausrichtung der dortigen volkswirtschaftlichen Abteilung entstanden Forschungsprojekte, die sich mit der Analyse von allgemeinen Korrelationsstrukturen befassten. Noch mit der Fragestellung der Habilitationsschrift verbunden, stellte sich die Frage nach Determinanten des Sparverhaltens, vor allem nach der Bedeutung der Pflichtabgaben zur Sozialversicherung, über die üblichen soziodemographischen Faktoren hinaus. Dabei wird im Sinne der Orientierung an anderen Statusgruppen deutlich, dass ein „Hinaufsehen“ und „Hinabsehen“ relevant sein kann. Das führte zu einer Reihe von Beiträgen, die insbesondere in die methodenorientierte Schrift: „An Example of Autocorrelation among Residuals in Directly Ordered Data“ (1988) mit Marc Gaudry mündeten. Für die Behandlung raumtheoretischer Fragestellungen wurde daraus ein dynamisches räumliches Autokorrelationsmaß („spatial lag“) entwickelt und seine Relevanz u. a. in der Veröffentlichung „Innovation in Small German Firms: Diminishing Re­turns, Randomness and Spatial Linkage“ (1989), ebenfalls gemeinsam mit Marc Gaudry, gezeigt. Im Rahmen verallgemeinerter räumlicher Netzwerkstrukturen wurde das Verfahren u. a. im Nachlauf zu einem EU-Forschungsprojekt verwendet und ist in der Schrift „Borders Matter! - Regional Integration in Europe and North America“ des Jahres 2003 zu lesen. Im Verkehrssektor erfolgte seine Verwendung im Kontext einer Dissertationsbetreuung, in der die Determinanten der Verkehrsnachfrage und die davon abgeleiteten Unfälle und ihre Schwere analysiert wurden. Die Anwendung auf Deutschland erfolgte in der Schrift „Aggregate Time Series Gasoline Demand Models: Review of Literature and New Evidence for West Germany“ (1988) mit Mark Gaudry und Getraud Foos. Dies führte schließlich zur Antragstellung eines DFG-Projektes, das zum Ziel hatte, Risikosubstitutions- und Risikohomöostasiseffekte nachzuweisen. Ihre Relevanz für die Wirtschaftspolitik besteht darin, dass Ausgaben zugunsten der Verkehrssicherheit solange durch Verhalten kompensiert werden können bzw. das Risiko in andere Bereiche verlagert werden kann, wie hier keine Grenzen auftreten – z. B. die Unmöglichkeit, wegen erhöhter Verkehrsdichte schnell zu fahren.

Das Interesse von Ulrich Blum an historischen Zusammenhängen fand seinen Niederschlag in einem zweiten Forschungsstrang, der sich aus der Theorie des unvollkommenen Wettbewerbs, der für regionalökonomische Fragestellungen typisch ist, heraus entwickelte. Was sind die Determinanten für eine Staatsgründung und eine Staatsentwicklung? Wie lässt sich die räumliche Struktur einer ökonomisch effizienten Gebietskörperschaft beschreiben? Gemeinsam mit Leonard Dudley entstand eine Reihe von Beiträgen, die vor allem die Militär- und Informationstechnologien als wesentliche Treiber der Entwicklung identifizierten. Das zeigt sich beispielsweise an der sehr schnell abgeschlossenen Entstehung des französischen Einheitsstaats, „A Spatial Approach to Structural Change: The Making of the French Hexagon“ aus dem Jahr 1989 und bei der Analyse des deutschen Staatssystems. Diese waren deshalb aus methodischer Sicht geeignet, weil sie sowohl territoriale Varianz als auch Unterschiede im internen Staatsaufbau aufwiesen, so dass damit Fragestellungen zur Effizienz von politischen Raumstrukturen beantwortet werden konnten und in der Schrift „A Spatial Model of the State“ im Jahr 1991 veröffentlicht wurden. In Weiterentwicklung dieser Ansätze bestand ein hohes Interesse an der Lösung der Frage, wie der Niedergang zentralverwaltungswirtschaftlicher Systeme aus ökonomischer Sicht im Sinne der Führungsfrage, also des Prinzipal-Agent-Modells, erklärt werden kann. Es entstanden gemeinsam mit Leonard Dudley zwei Schriften: eine eher methodische, die ausführte, in welchem Umfang neue Technologien eine Dezentralisierung der Unternehmens- und Führungsstrukturen begünstigten, in der DDR hingegen eine Zentralisierungstendenz durchgesetzt wurde, wodurch die Wirtschaft über alle Maßen Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt war, nämlich „The Two Germanies: Information Technology and Economic Divergence 1949-1989“ aus dem Jahr 1999 und eine ökonometrische Analyse, die das anhand von empirischen Daten nachvollzog, nämlich „Blood, Sweat, Tears: Rise and Decline of the East German Economy 1949-1988“ aus dem Jahr 2000. Dabei wird deutlich die Rolle der Verstaatlichungen mittelständischer Unternehmen Anfang der 70er Jahre für den Niedergang der DDR herausgearbeitet, was schließlich in eine thematische Abschlussarbeit mündete, die ein statistisches Nachzeichnen der Wirtschaftsleistung der DDR entwickelte und in der Schrift „East Germany’s Economic Development Revisited: Path Dependence and East Germany’s Pre- and Post-Unification Economic Stagnation“, im Jahr 2013 veröffentlicht wurde.

Dieser transformationstheoretische Schwerpunkt begründete auch das Interesse für die koreanische Teilung, die möglichen Kosten einer Wiedervereinigung und deren geostrategische Implikationen. Hieraus entstand ein „Vade Mecum for Korean Unification“, das derzeit in Südkorea veröffentlicht wird. Zugleich rückten durch diese Forschung auch die kulturellen Grundlagen der asiatischen Wirtschaftsordnungen in seinen wissenschaftlichen Fokus, die zu intensiven Kontakten mit Hochschulen und Institutionen in Japan, Südkorea und der Volksrepublik China führten. An der University of International Business and Economics in Beijing ist Ulrich Blum für die Jahre 2013 bis 2016 Gastprofessor.

Die damit verbundene Frage nach der Systemrelevanz gesellschaftlicher Ordnung für die ökonomische Effizienz wurde gemeinsam mit Leonard Dudley in einer Reihe historischer Schriften beleuchtet. Hierbei wurde die Dynamik der Wirtschaftsentwicklung im Mittelalter und im Anschluss daran den Aufstieg Europas vom 15. bis 18. Jahrhundert betrachtet, der sich in den nördlichen und südlichen Ländern unterschiedlich vollzog. Es entstand eine Reihe von Schriften in der Tradition der Konvergenzanalysen. Hierbei sei insbesondere auf ein Werk zur  Überprüfung der Weber-These hingewiesen, in dem gezeigt wird, dass die Wirtschaftsgesinnung eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die wirtschaftliche Entwicklung im protestantischen Teil Europas war, sondern vielmehr die Netzwerkfähigkeit dafür von Bedeutung ist. Diese Arbeit wurde unter dem Titel „Religion and Economic Growth: Was Weber Right?“ im Jahr 2001 veröffentlicht. Eine weitere Schrift im Bereich der Konvergenzanalyse beschäftigt sich mit einer Analyse der Rolle des mittelalterlichen Lateins als damalige Standardsprache, heute vergleichbar mit dem http des Internets, und wurde publiziert als „Standardised Latin and Medieval Economic Growth“ im Jahr 2003.

Wettbewerbsrechtliche Fragen rückten im Zusammenhang mit einem großen Forschungsauftrag des Deutschen Instituts für Normung über die Relevanz von Standards und Normen für die Wirtschaftsentwicklung in den Vordergrund. Daraus ergaben sich neben den Berichten zum Gutachten einige Schriften und Anknüpfungspunkte zur Frage, welche Bedeutung die Standardisierung für den Wettbewerb hat, denn mit zunehmender Homogenität der Güter wird die Neigung zu wettbewerbsbeschränkendem Verhalten größer, um den Marktdruck zu verringern. Besonders die Kartellverfahren Anfang des Jahrtausends gegen die Beton- und Zementindustrie waren ein wichtiger Tatbestand, der in einer Reihe von Schriften analysiert wurde, die auch die Kartellrechtsprechung beeinflusst haben. So konnte in „The East German Cement Cartel: Efficiency and Cartel Policy after Economic Transformation“ im Jahr 2007 gezeigt werden, dass Mehrerlöse auch unter Kartellbedingungen nicht zwingend sind, was auch in einem räumlichen Modell weiter detailliert wurde und als “Cartel Identification in Spatial Markets: An Analysis of the East German Cement Market“ im Jahr 2009 erschien. Außerdem wurde gemeinsam mit Michael Veltins und Nicole Steinat in einer spieltheoretischen Ausarbeitung gezeigt, in welchem Umfang Kronzeugenprogramme, wenn sie fehlerhaft angelegt sind, die Kartellbildung verstärken können; dies erschien im Jahr 2008 in „On the Rationale of Leniency Programs: a Game Theoretical Analysis“.

Aktuelles Forschungsinteresse

Die gegenwärtigen Interessen von Ulrich Blum konzentrieren sich vor allem auf die Frage, inwieweit der Ordnungsrahmen, der vor dem Fall der Mauer weitgehend akzeptiert war und besonders im Kontext mit der Weltfinanzkrise zunehmend ausgehöhlt erscheint, heute noch für die Entwicklung der reifen Volkswirtschaften bedeutsam ist. Es interessiert ihn also, ob die Kooperation auf oberer Ebene (nach den Spielregeln in der Tradition von Walter Eucken) noch handlungsleitend für die darunter ablaufenden Wettbewerbsprozesse (die Spielzüge) sind oder ob wir möglicherweise vor einer Inversion stehen, dass nämlich eine bellizistische Unordnung allenfalls Inseln der Kooperation zulässt, wie es beispielsweise der strategische Handel der Schwellenländer, aber auch die Patentstrategien einer Vielzahl von Großkonzernen nahelegen. In diesem Kontext sind auch die kulturellen Rückbindungen konkreter Wirtschaftsordnungen, insbesondere auch des asiatischen Modells, von Interesse. Aktuell werden folgende Forschungsprojekte konkret verfolgt:

Wirtschaftspolitik in der konkreten Realisierung

Ulrich Blum hat in wichtigen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Gremien als Sachverständiger gearbeitet. So war er nach der Wende über zehn Jahre Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Sächsischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst sowie Mitglied des Technologiebeirats beim Sächsischen Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit und hat maßgeblich die Restrukturierung der Wissenschafts- und Technologielandschaft in Sachsen begleitet. Als Vorsitzender der Kommission „Wirtschaftsintegrierende Forschungsförderung“ hat er um die Jahrtausendwende die Neuausrichtung der Technologie- und Forschungsförderung des Bundeswirtschaftsministeriums mitgestaltet. Als Vorsitzender der Europäischen Kommission „Future Landscape of European Standardization“ hat er Anfang des Jahrtausends ein Weißbuch über die künftige Entwicklung der europäischen Normung und Standardisierung verfaßt. Derzeit ist er u. a. Jurymitglied bei der Spitzenclusterinitiative des Bundesministeriums für Forschung und Technologie.

Ulrich Blum ist regelmäßig Autor von Beiträgen in der nationalen und internationalen Qualitätspresse und tritt im Rundfunk und Fernsehen auf. Schwerpunkte sind dabei die ordnungsökonomische Auseinandersetzung mit der Wirtschaftspolitik, insbesondere der Finanzkrise, und die Veränderungen der internationalen Arbeitsteilung sowie die Probleme, die sich aus dem Übergang von Zentralverwaltungswirtschaften zur Marktwirtschaften ergeben. Diese Fragen finden auch in Korea und den anliegenden Regionen große Beachtung, weshalb auch hier ein relevanter Markt für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit liegt.

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